Montag, 7. Mai 2012

Highway to Hell - Transalp Challenge 2008

Tag 0

Freitag, 19.07.2008. Frankfurt. Es geht los. das wahrscheinlich kleinste Teammobil aller knapp 1200 Transalpteilnehmer rollt total überladen gen Füssen – dem Startort der diesjährigen Transalp Challenge. Uns geht es gut (noch), unseren Bikes geht es gut und selbst das Wetter spielt entgegen den Vorhersagen noch mit. Nach 5 Stunden: Füssen. Akkreditierung. Erste Nervosität angesichts des wandgroßen Höhenprofils aller Etappen am Stück. Dann schnell ins Hotel, Einchecken und ab zur privaten Pasta-Party. Einen kurzen Spaziergang durch Füssen später sind wir schon wieder im Zimmer. Zeit ins Bett zu gehen, am nächsten Morgen um 6.00 Uhr klingelt der Wecker.


















1. Etappe: Füssen - Imst

Samstag, 19.07.2008 Füssen. Der Wecker reißt uns unsanft aus dem Schlaf. Es ist 6 Uhr. Immerhin: ein perfekter weiß-blauer Himmel. So wie man es in Bayern erwartet. Frühstücken, dann rein in die Radklamotten. Zum ersten Mal fertig machen zum Start. Noch ein paar Kilometer warmfahren, dann rollen wir in den Startblock. Das erste was wir lernen: Jeantex – die Sportklamottenmarke – wird nicht Jeantex (wie die Jeans) sondern Jantex ausgesprochen. Der musikalische Reigen wird, wie fortan jeden Morgen, mit „It’s like that“ (Run DMC feat. Jason Nevins) eröffnet. Noch zwei Minuten bis zum Start der ersten Etappe der Transalp Challenge. Was uns erwartet kündigt dann AC/DC an: Highway to Hell. 3,2,1 – und nichts geht los. Denn der Start wurde neutralisiert, im Schritt-Tempo rollen wir durch Füssen bis Rennleiter Uli Stanciu das Rennen, vorneweg fahrend, freigibt. In einem Höllentempo absolvieren wir die ersten flachen Kilometer, nehmen die ersten lockeren Steigungen und stehen plötzlich vor dem ersten wirklichen Berg. Von schnell kann jetzt keine Rede mehr sein. Steil geht es hoch zum Marienbergjoch. Bald beginnen die ersten zu schieben. Wir erreichen den Gipfel und rasen bergab bis Imst. Ein bisschen Windschattenfahren, ein paar Kehren und dann sind wir da. Die erste Etappe? 80,11 Kilometer! 1962 Höhenmeter! Abgehakt. Abends beim Essen im Hotel dann das was wir schon die ganze Zeit geahnt haben: das Wetter schlägt um, es fängt an zu regnen.

















2.Etappe: Imst - Ischgl

Sonntag, 20.07.2008 Imst. Der erste Blick beim Aufstehen gilt dem Wetter. Es regnet in Strömen, die Berggipfel um uns herum sind wolkenverhangen. Aber bis zum Start um 9.00 Uhr sind es ja noch 3 Stunden, es kann eigentlich nur besser werden. Und tatsächlich – eine Stunde vor dem Start tröpfelt es nur noch leicht, erste blaue Stellen zeigen sich am Himmel. Um 8.30 Uhr rollen wir in den Startblock. Swantje ¬– unsere Betreuerin und Fahrerin des Teamautos sorgt noch schnell dafür, dass wir mit frisch gefüllten Trinkflaschen an den Start gehen. Und los geht’s: Highway to Hell. Part II. Erst kurz flach durch Imst, dann steil hinauf zum Imsterberg und zur Venetalm. Es nieselt wieder leicht, die Klamotten werden klamm. Schnell bringen wir den Anstieg hinter uns, dann die rasende Abfahrt nach Wenns und sofort wieder rauf zur Pillerhöhe. Dank der Zuschauer an der Passhöhe stellt sich kurz Tour de France–Feeling ein, dann sind wir wieder unter uns. Hinab nach Landeck, dann rauf zum Almstüberl. Hört sich gemütlich an – ist es aber nicht. Denn was danach kommt, entpuppt sich als schwer zu fahrender glitschiger Trail, der ordentlich Körner kostet. Ein Teil der Fahrer schiebt, ich fahre ihn fast komplett – um mich dann auf der folgenden einfachen Teerabfahrt abzulegen. Prima. Der erste Blick gilt dem Bike – alles OK. Der zweite mir selbst: Der Oberschenkel sieht aus wie nach einer Blutgrätsche auf dem Hartplatz. Lecker. Aber egal – das langsam vor sich hin tropfende Blut korrespondiert super zum Ogilvy-Rot unserer Trikots. Noch 20 Kilometer bis Ischgl. Es wird Zeit, Gas zu geben. Doch das Höhenprofil des Roadbooks zeigt sich hier deutlich harmloser als die Realität. Was sich scheinbar flach im Höhenprofil zeigt, stellt sich in Natura irgendwie etwas anders dar. Kurze Rampen wechseln mit kurzen Abfahrten, die letzten Kilometer kosten noch mal richtig Kraft. Dann endlich: Licht am Ende des Tunnels. Ischgl taucht auf, noch 2 letzte fiese Anstiege, eine Straßenunterquerung – dann rollen wir auf den Marktplatz. Die zweite Etappe: 76,4 Km. 3171 Hm. Und der erste wirkliche Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet. Doch daran verschwenden wir noch keine Gedanken. Zuerst werden die Wunden versorgt (ein Sanitäter und keine –in), dann die Bikes. Wir sind schon längst geduscht, als auch das Wetter plötzlich wieder zum Thema wird. Ein Gewitter mit sintflutartigen Regenfällen und Hagelschauern legt Ischgl lahm. Als wir erfahren, dass noch 11 Teams auf der Strecke sind, ordern wir gerade das Dessert.





















3. Etappe: Ischgl - Scoul

Montag, 21.07. 2008 Ischgl. Plitsch. Platsch. Regen rinnt die Scheiben hinab, der Himmel ist dunkelgrau. Draußen sind es knapp 6°C, wir sind auf 1400m über NN und müssen auf 2700 rauf. Was das bedeutet, ist klar: Neuschnee. Eigentlich kein Wetter, bei dem man sich vergnüglich aufs Bike schwingen möchte. Aber wir sind ja auch nicht zum Vergnügen hier. Und so stehen wir Punkt 8.30 Uhr mit den anderen knapp 1200 Bikern in den Startblöcken, drängen uns unter Hausvordächern und Regenschirmen. Startschuss. Weil’s so schön ist, fahren wir gleich zweimal durch den Ort, dann geht es ab auf die Skipiste. Bergauf selbstredend. Der Rhythmus am Berg ist schnell gefunden, ein paar Opfer ebenso. Bis zur Mittelstation rollt es flüssig, dann pfeift uns schneidender Wind entgegen, die ersten Graupelschauer und Schneeflocken lassen grüßen. Mittelstation. Idalpe. Swantje ist mit der Gondel hochgefahren und leistet uns hier noch ein letztes Mal Unterstützung. Mitten im Nirwana der Berge. Gut, was eine perfekte Betreuung ausmachen kann. Dann sind wir auf uns allein gestellt. Steil zieht sich der Weg die letzten 400Hm bergauf, die meisten schieben längst. Wir fahren zwar – deutlich schneller als die schiebenden sind wir aber nicht. Endlich: das Idjoch. Am Gipfel reißen die Wolken auf, ein grandioser Blick bietet sich uns. Zeit, ihn wirklich zu genießen haben wir aber nicht, denn sofort stürzen wir uns in die Abfahrt nach Samnaun. Wir sind schnell, sehr schnell. So schnell, dass mein Puls plötzlich 260 anzeigt. Der Pulsgurt scheint der flatternden Windjacke nicht gewachsen zu sein. Überall quietschen Bremsen, die Landschaft fliegt vorbei. Dann die Verpflegungsstation. Flaschen auffüllen, Riegel futtern und weiter. Ein letzter quälender Anstieg, dann rasen wir in einer Gruppe flach bis Scuol. Kurz rechts, dann links, schon sind wir da. Schnee und Eis am Idjoch scheinen schon vergessen. Hier unten sind es 30°, die Sonne scheint. Überall Zuschauer, Biker und Helfer – nur Swantje fehlt. Defekt. Am Auto. Aber zum Glück schon repariert. Dann das Übliche: Bikes waschen, Biker waschen, ein Restaurant suchen, Nudeln und ab in Bett.























4. Etappe: Scoul - Livigno

Dienstag, 22.07.2009 Scoul. Von den gestrigen 30°C ist nichts mehr zu spüren, als wir in Shorts und T-Shirts zum Frühstück stapfen. Es nieselt leicht, die Berge hängen wieder in den Wolken. Na ja – heute geht es nach Italien und da scheint ja eigentlich immer die Sonne. Hoffen wir. Zunächst aber geht es wie jeden Morgen erst mal ordentlich bergauf. Zum Glück hält sich die Steigung in Grenzen – mehr als 12% sind es selten. Zuerst auf Teer, dann Schotter. Schließlich ein schöner, flowiger Trail hinauf zum Pass de Costainas. An der Passhöhe dann ein kurzes Steilstück bergab. Viele schieben – natürlich in der Ideallinie. Prima. Zum Glück ist der Weg breit genug, um dennoch im Sattel zu bleiben. Weiter geht es bergab bis ins Münstertal. Und wo’s runtergeht, geht’s auch wieder rauf. Zunächst durch einen lichten Wald, dann zwischen blankem Fels kurbeln wir Meter um Meter nach oben. An der Passhöhe erwartet uns ein gigantisches Hochtal. Und leider auch Gegenwind. Obwohl es leicht bergab geht, müssen wir treten was das Zeug hält. Entspannung fühlt sich irgendwie anders an. Gut nur, dass es den anderen auch nicht besser geht als uns. Dann der Abzweig zum Val Mora. Wir rumpeln über einen Wiesentrail, dann schlängelt sich der Weg ausgesetzt an einem Bach entlang. Es geht immer wieder kurz steil bergauf und dann genauso steil wieder bergab. Fast wie in der Achterbahn. Viel zu schnell erreichen wir so den Lago di Fraele. Zwischen uns und unserem heutigen Etappenziel liegen noch ein Pass und zwei Berge. Und ein paar Schnee- und Graupelschauer, wie sich ein paar Höhenmeter später herausstellt. Also, Regenjacken an und durch. Bis Livigno. Wir rollen bis kurz vor den Ort, dann plötzlich zeigt ein Pfeil nach rechts. Rechts? Kann nicht sein, schließlich liegt Livigno direkt vor uns. Ich kann die Pizza schon riechen. Doch nichts ist mit Pasta und Pizza. Den Ort und damit das Ziel ständig vor Augen geht es noch ein letztes Mal steil den Berg hinauf. Endlich eine Kuppe. Direkt dahinter lauert die nächste. Und dahinter die nächste. Und dahinter die nächste. Und dahinter die nächste ... Die berühmten letzten Meter sind zermürbend. Und so langsam schwinden die Kräfte. Dann geht es endlich endgültig bergab. Livigno. Wir sind ziemlich erschlagen. Müde rollen wir ins Hotel, waschen unsere Bikes und schauen auf Eurosport noch schnell ein paar anderen Radhelden zu, die gerade quer durch Frankreich rollen. Dann gehen wir Pizza essen. Lecker. So wie die Riesenportion Nudeln vorneweg. Und das Panna Cotta hinterher. Den Radhelden in Frankreich würde sich wohl der Magen umdrehen.


















5. Etappe: Livigno - Naturns

Mittwoch, 23.07.2008 Livigno. 6.30 Uhr. Wir sitzen im Frühstücksraum. Gerade kommen die Croissants aus dem Ofen, draußen scheint schon die Sonne. Idylle pur. Wäre da nicht die Gewissheit, dass uns heute noch einiges bevorsteht: 122,2 Km, 2909 Hm. Die erste Königsetappe. Und mit den beiden Trails vom Passo di Val Trela und weiter zur Borchetta di Forcolla ganz sicher zwei der absoluten Highlights dieser Transalp. Doch beide Trails muss man sich redlich verdienen: lang ziehen sich die Auffahrten, gelegentlich zwingen einen steile Rampen oder aber schwächelnde Biker kurz vom Rad. Zum Glück teilt sich das Feld schnell auf und wir sind weit genug vorne dabei um alles, was fahrbar ist auch fahren zu können. Andere trifft es hart: zuerst schieben sie bergauf. Dann bergab. Doch auch wir kommen nicht reibungslos durch: bei der Abfahrt fange ich mir einen Durchschlag ein. Reifen raus, Schlauch raus, alles klappt reibungslos. Dann passt das Gewinde der CO2-Kartusche nicht in die Pumpe – jetzt weiß ich, warum ich die Dinger so supergünstig erwerben konnte. Internetauktionshaus? Scheiße! Wertvolle Zeit verstreicht, dann endlich ist der Reifen wieder drauf. Laune und Flow sind aber erstmal dahin. Ich springe aufs Rad, will Gas geben, schalte und falle fast vom Rad: Schaltzug gerissen. Ich könnte kotzen. Und das hört man auch. Ausgerechnet hier ein Defekt, den man mit Bordmitteln nicht beheben kann. Ins Ziel sind es noch über 60 Kilometer, es geht noch ein paar Berge rauf und ich kann nicht mehr schalten. Fluchend fahre ich weiter, bei steilen Rampen muss ich kurz vom Rad und schiebe. Trotzdem verlieren wir jetzt keine Plätze mehr – auf dem engen Trail kann nämlich keiner überholen. Dann der Umbrailpass. Und die Rettung: die Mechaniker vom Cube-Profi-Team stehen am Rand. Doch die Hoffnung stirbt schnell: die Mechaniker sind ratlos und wollen den Schaltzug mit einem Kabelbinder fixieren. Schwäbischer Erfindergeist der etwas weltfremd erscheint. Also weiter. Ohne Schaltung. Mist. Wir lagen so gut im Rennen. Dann ein weiteres Betreuerteam. Diesmal sind es die Jungs von Merida. Die schauen sich meine Schaltung kurz an, wechseln ein paar Worte auf Tschechisch und dann, innerhalb von 3, 4 Minuten: „Have a nice race“. Ich könnte sie knutschen, alles geht, wir sind wieder im Rennen. Also: Attacke. Mit erhöhtem Adrenalinpegel fahren wir ab sofort voll auf Angriff, überholen Team um Team, schließen dann zu zwei Jungs aus Neuseeland auf und bleiben dann als Gruppe zusammen. Zu viert arbeiten wir gut zusammen und rasen mit durchschnittlich 40 km/h durch die Apfelplantagen nach Naturns, nehmen den letzten Berg im Sturm und rauschen ins Ziel. Die Aufholjagd hat sich gelohnt: wir haben zwar ein paar Plätze, aber kaum Zeit verloren. Auch den Startblock konnten wir halten. Super. Auch super: die Shimano-Mechaniker, die sich jetzt noch mal um meine Schaltung kümmern. Kostenlos. Wir sitzen kurz in der Sonne, dann chauffiert uns Swantje in unser Hotel. Wir sind seit über 2 Stunden im Ziel aber immer noch sind Teams auf der Strecke. Später erfahren wir, dass es heute einige viel schlimmer erwischt hat als uns: Einer hat unterwegs bei einem Absturz sein Bike verloren und nicht wieder gefunden, andere schaffen das Zeitlimit nicht und werden aus dem Rennen genommen. Highway to hell? Wenn Bon Scott gewusst hätte, wie Recht er damit hatte...






















6. Etappe: Naturns - Kaltern

Donnerstag, 24.08.2008. Naturns. Die Zahl des Tages: Dreitausendneunhundersiebenundvierzig Höhenmeter. Soviel sind wir an einem Tag noch nie gefahren. Nicht im Training. Nicht im Rennen. Und wer weiß, ob wir jemals wieder soviel Qual am Stück auf uns nehmen. Was selbst ein Karl Platt (der spätere Gewinner der TAC) von der Etappe hält, lassen die Worte „Der Uli (Stanciu) ist ein Assi“ erahnen. Den anderen Teams scheint die Etappe ebensoviel Respekt einzuflössen wie uns – im Startblock geht es viel ruhiger zu als sonst. Direkt nach dem Start der Stau. Eine geschlossene Bahnschranke bremst das Feld aus, dahinter erkennt man schon die ersten Meter des Anstiegs. Die Gesamtführende der Frauen, Pia Sundstedt, hat hier schon einen Platten. Noch mal tief durchatmen, konzentrieren, die Schranke öffnet sich und das Rennen beginnt von vorn. Ein paar stürmen in den Berg, als ob es der letzte wäre. Wir lassen uns nicht provozieren, finden schnell unseren Rhythmus. Schnell merken wir, dass wir Platz um Platz gut machen. Immer mehr Teams fallen zurück. Noch 800 Höhenmeter. Noch 600. Noch 100. Wir sind ziemlich weit vorne, als wir den Gipfel erreichen. Schnell noch ein Gel und dann rein in die Abfahrt. Grober Schotter. Bremsen auf, Ideallinie halten und durch. Dann eine scharfe Kehre und ab geht’s auf einen rumpeligen, teilweise verblockten Trail. Plötzlich ist Fahrtechnik gefragt. Und den Mut, die Bremsen trotz unzähliger Steinstufen und Wurzelteppiche offen zu lassen. Dann spuckt mich der Pfad auf einer schmalen Bergstraße aus. Ich schaue mich um – Jens ist nicht in Sicht. Die ersten Konkurrenzteams ziehen vorbei. Von Jens immer noch keine Spur. Ich frage andere Biker anderer Teams. Keiner weiß was. Ich befürchte Schlimmeres. Dann ein roter Klecks im Grün des Waldes: Jens! Am Leben. Aber lädiert von einem Sturz. Das Trikot ist hin, der Helm hat ‘mehrere Dellen, die ohne Helm wohl jetzt im Kopf wären. Die Schulter schmerzt. Aua. Noch 2 Berge. Noch zwei harte Trails. Kämpfen. Nach ein paar Kilometern läuft es wieder flüssiger, dann die nächste Abfahrt, der nächste Trail und der nächste Sturz. Wieder Jens. Wieder die Schulter. Und der Kopf. Autsch. Ab sofort geht es nur noch vorsichtig weiter. Das Etappenziel wirkt unerreichbar fern. Denn neben den Kohlenhydratspeichern, scheint jetzt auch der Kopf völlig leer zu sein. Nochmal eine Verpflegung, das letzte Mal die Flaschen füllen. Ein weiterer Berg. Eine weitere Abfahrt. Dann schlägt uns schwüle Wärme entgegen, am Talboden schimmert ein See. Kaltern kommt in Sicht, das Etappenziel ist nun in greifbarer Nähe. Ein paar Kehren noch, dann die Ziellinie. Geschafft. Jens verschwindet sofort bei den Sanitätern. Die den Helm sehen und ihn eigentlich gleich entsorgen wollen. „Der ist hin. Wennst’ mit dem weiterfährst, kannst’ auch ne Wollmütze aufsetzen“. Eine genaue Diagnose zur Schulter können sie allerdings nicht abgeben. Ab ins Krankenhaus. Zum Röntgen. Swantje fährt ihn nach Bozen. In der Notaufnahme warten schon ein paar Kollegen. Ich kümmere mich um die Bikes. Und hoffe, dass es weitergeht. Bloß kein Bruch. Im 10-Minuten-Takt rufe ich an, auch nach 1 Stunde noch nix neues. Dann endlich der erlösende Anruf: Nur geprellt. Der Dottore hat was von mehreren Tagen Ruhe erzählt. Der spinnt: Andalo, wir kommen.




























7. Etappe: Kaltern - Andalo

Freitag, 25.07.2008. Kaltern. Jens ist noch immer gezeichnet, aber er wird fahren können. Gut. Jetzt so kurz vor dem Ziel aufgeben zu müssen, hätte wirklich wehgetan. Wir sind spät dran und rollen erst knapp 20 Minuten vor dem Start in den Block. Anspannung macht sich breit – heute heißt es, sich durchzubeißen. Die Etappe ist zwar nicht so hart wie gestern, aber mit über 3000 Hm noch hart genug. Dazu ist es zum ersten Mal während dieser Transalp wirklich heiß. Highway to hell. Und los. Rauf zum Graunerjoch. Wir sind schwerfälliger unterwegs als sonst, aber auch bei anderen Teams machen sich die Strapazen langsam bemerkbar. Um uns herum wird gekeucht, geflucht und gestöhnt. 1400 Höhenmeter später stehen wir am Graunerjoch. Ich biege in den ersten Trail bergab ein, Jens folgt kurz später. Vorsichtig. Die beiden Stürze von gestern sitzen ihm noch in den Knochen. Aber vor allem im Kopf. Trail folgt auf Trail, jeder fährt sich anders: flowige und schnelle Abschnitte wechseln mit technischen Passagen. Teilweise rollen wir über feinsten Waldboden, dann hoppeln wir über üble Geröllstücke bergab. Endlich die Talsohle. Hier steht die Hitze, der Asphalt flimmert, der Schweiß läuft in Bächen. Es brennt höllisch in den Augen und in den noch immer offenen Wunden. Wir kämpfen uns wieder an ein paar Teams vorbei, machen ein paar Plätze gut, die wir auf der Abfahrt verloren haben und schließen kurz vor dem finalen Anstieg nach Andalo zu einer größeren Gruppe auf. Gut für die Motivation. Noch 800 Höhemeter. Die meisten sind schon längst am Schieben, wir fahren. Es wird steil. Und steiler. Wir fahren. Der Wald lichtet sich, eine Kirchturmspitze ist zu sehen. Andalo. 20 Minuten später sind wir da. Wir rollen durchs Ziel, haben viele Plätze verloren aber die Schlacht gewonnen. Denn jetzt ist klar: wir werden den Gardasee erreichen. Komme, was da wolle. Abends Pizza, Nudeln und Panna Cotta. Kalorien sind Kalorien sind Kalorien. Und überall Biker, die wie befreit wirken. Nur noch eine Etappe bis zum Gardasee. Nur noch ein paar Kilometer zum großen Ziel. Und nur noch ein einziges mal AC/DC.





























8. Etappe: Andalo - Riva

Samstag, 26.07.2008. Andalo. 6.30 Uhr. Frühstück. Dann Popo einschmieren nach dem Motto „Viel hilft viel“, die Ketten ölen, und ab in den Startblock. Alles wie in den Tagen davor. Und doch so anders. Denn nur noch knapp 1500 Höhenmeter und 65 Kilometer trennen den riesigen Tross aus Fahrern, Betreuern und Helfern vom Gardasee. Entspannung macht sicht breit. Auftritt Uli Stanciu, Rennleiter: „Viel Spaß, lange Auffahrt, dann bitte Vorsicht beim Trail vom Monte Gazza: lang, ausgesetzt, glitschig. Technisch schwierig, daher an der Seite schieben, um Platz zu lassen für die, die den Trail fahren wollen “. Schlagartig ist von Entspannung nichts mehr zu spüren. Die einen fürchten den Trail, die anderen fürchten, von Schiebenden aufgehalten zu werden. Highway to hell. Ein letztes Mal dröhnt AC/DC aus den Boxen, ein letztes Mal rollen wir unter dem Jubel vieler Zuschauer über die Startlinie. Zuerst kurz und knackig. Dann – nach einer schnellen Abfahrt – lang und knackig. Auf grobem Schotter und mit stellenweise weit über 20% Steigung geht es rauf zum Passo San Giovanni. An der total verlassenen Skistation dröhnt Partymucke aus den Boxen. Skuril irgendwie. Als es mal ein paar Meter bergab geht, fühlt sich der Untergrund plötzlich schwammig an. Dann rolle ich auch schon auf der Felge. Platten. Juhu. Obwohl es wie eine Ewigkeit vorkommt, sitzen wir knapp 4 Minuten später schon wieder auf den Bikes – vorher ramme ich mir noch einen Zahn des Zahnkranzes tief in den Finger. Dann endlich: die Hochebene und der Passo San Giovanni. Zum ersten Mal blicken wir auf den Gardasee. Dann taucht der Einstieg zum Trail vor mir auf. Davor: eine Horde Biker, alle stehen rum, keiner fährt. Mist. Ich reihe mich in die Schlange ein, wenig später kommt auch Jens dazu. Geduldig schieben wir die ersten 50 Höhenmeter bergab, dann endlich eine Lücke. Schnell versenke ich den Sattel und fahre bzw. rutsche los. Teilweise über 30% Gefälle. Schmal, verblockt und mit nassen Wurzeln durchsetzt. Die ersten Meter sind die Hölle. Die meisten schieben – auch ich steige ein paar Mal vom Rad. Doch mit Radschuhen fällt das Gehen hier schwerer als das Fahren. Langsam hoppele ich zusammen mit zwei Amerikanern weiter den Trail bergab, dann eine Spitzkehre. Wir müssen kurz halten, weil vor uns einer in der Kurve liegt. Plötzlich ein Schrei: „Aaaaaatteeentioonn!!!!“. Ein Wahnsinniger kracht uns in die Räder. Mich und die beiden Amerikaner schmeißt es um, als ich mich wieder hoch rappele ist der Hebel meiner Vorderradbremse weg. Super. Was jetzt? Schieben? Jetzt, wo der Trail endlich flowiger wird? Wäre ja noch schöner. Also langsam und vorsichtig weiter. Und nur ganz, ganz sachte am Bremshebel ziehen, bloß nicht driften. Und bloß die Bremse nicht überhitzen. besser als gedacht erreiche ich das Ende des Trails und die Verpflegungsstation. Ich warte kurz auf Jens, dann folgt eine üble Betonpistenabfahrt. Eigentlich Hochgeschwindigkeitstauglich, mit nur einer Bremse aber nicht machbar. Ein Südafrikaner schießt an uns vorbei – sein Rad schlingert kurz, und er kracht filmreif in die Randbegrenzung, bleibt benommen liegen. Wir rufen die Sanitäter, dann taucht sein Partner auf und wir können weiter. Noch 20 Kilometer bis Riva. Flach, das meiste auf dem Weg des Garda Bike-Marathons durch die Marocce. Das grobe Geröll macht vielen zu schaffen – rechts uns links des Wegs werden Reifen geflickt. Wir fahren was das Zeug hält – und werden von einem fliegenden Holländer jäh gebremst. Aus dem Nichts rauscht er mir ins Rad, mit knapp 40 km/h rutsche ich über den Schotter. Arme voraus. Zusammen mit zwei weiteren Niederländern nehmen wir die Verfolgung auf. Dann ein Ortschild der Freude: Riva del Garda. Rechts. Links. Der Zielbogen. Und dann überqueren wir nach 8 Tagen, 660 Kilometern und knapp 22.000 Höhenmetern das Ziel. Als Finisher der Jeantex Transalp Challenge 2008.





























PS: Ein ganz großes „Danke schön“ an Swantje, die sich während der 8 Tage super um uns gekümmert hat, so dass wir uns nur um das Rennen und um nix sonst Gedanken machen mussten. Und ein dickes Danke auch an Ogilvy, die uns unsere Trikots spendiert haben. Und so dafür sorgten, dass wir wenigstens am Start immer gut aussahen.

Die gesammelten Fotos gibt's übrigens hier

Bergfahrer

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